Eine Aussage oder Meinung muß nicht richtig sein, um die Massen zu begeistern und so uni sono als "richtig" gekürt zu werden. Dies mußte schon Sony vor einigen Jahren merken, deren Video-System "Beta" zwar VHS in Qualität überlegen war, letztendlich jedoch an der Verbreitung von VHS scheiterte. Doch während in dem Fall noch eine gewisse Subjektivität mitspielte, gibt es Beispiele dafür, daß Dummheit sich – genügend oft wiederholt – doch gegen Intelligenz durchsetzen kann…
Alle halbwegs gebildeten Menschen begannen schon vor einiger Zeit, bei Referenzen auf den Jahreswechsel 1999/2000 zusammenzuzucken – schließlich wiesen Reporter, Redakteure und "Experten" ihre eigene Unwissenheit nach, indem sie vom "neuen Jahrtausend" sprachen.
Für all jene, die sich durch die Übermacht der Medien und deren gesammelte Dummheit haben verwirren lassen, oder die paar, die es wirklich nicht besser wissen, hier ein kurzer Ausflug in die Zeitrechnung … Irgendwann einmal kam jemand auf die Idee, man solle doch das kostbare Gut "Zeit" irgendwie definieren und zählen. Da die Natur so gut war, zumindest eine grobe Aufteilung vorzunehmen (auch "Tag" und "Nacht" genannt), war das ja schon einmal ein guter Ansatz. Das Ganze noch etwas feiner einzuteilen war – zumindest nachdem der Stundenlohn erfunden war – auch eine gute Idee. Doch da sich ein Alter wie "10234 Tage" ziemlich alt anhört, und da die Natur auch gedachte, gröbere Einteilungen vorzunehmen (auch "Jahreszeiten" genannt), lag es nahe, viele viele Tage zu Monaten und Jahren zusammenzufassen.
Und da das ganze mit der Natur zusammenhing, fing man das am besten über den Mond an, der ein gröberes Zeitmaß darstellte, und zwar über sein Zu- und Abnahme. So kam man irgendwann zu dem Mondjahr. Einiges später – im Rahmen von einigen Neuerungen, die ihren Ursprung dort fanden – wurde im römischen Reich die Zählung der Zeit im sog. "varronische Jahr" vorgenommen, welches sich an der Gründung der Stadt Rom orientierte (was sich nach unserer heutigen Zeitrechnung so etwa im Jahr 753 v.Chr. zugetragen haben dürfte). Zur Information: Diese Zeitrechnung begann beim Jahr 1. Dies mag unter anderem darin begründet sein, daß für die Leute damals Zahlen wie "0" oder gar negative Zahlen schwer (wenn überhaupt) zu verstehen waren.
So um 525 n.Chr. kam dann Dionysius Exiguus, seines Zeichens Mönch und Chronist, auf die Idee, eine Aufstellung der künftigen Termine für Ostern zu erstellen. Dabei gefiel es ihm nicht, daß die Zeitrechnung sich zu jener Zeit am Geburtstag des Kaisers Diocletian orientierte, der sich mit der wenig freundlichen Verfolgung von Christen einen Namen machte. Ergo ging er daran, das Datum der Geburt Jesu Christi zu berechnen, was leider nicht so leicht war, irgendwie klappte das mit dem Nachforschen im WWW nicht (er bekam keinen Connect – ob schon damals AOL Server betrieben hat?). Also setzte er sich hin und berechnete (oder erriet, so ganz einig sind sich die Quellen im Internet da nicht) das Geburtsjahr Christi und gab seine Liste der Oster-Termine mit dem neue "anno domini" heraus, basierend auf seinem berechneten Jesus-Geburtstermin.
Die Zeitrechnung wurde über die Zeit dann noch das eine oder andere mal korrigiert, heutzutage leben wir nach dem Gregorianischen Kalender, welcher sich als ganz praktisch herausgestellt hat. Das ist aber an sich egal. Wichtig ist, daß auch für Dionysius die Zeitrechnung bei "1" begonnen hat.
Jetzt hat aber ein Jahrzehnt (wie es der Name dem geneigten Leser schon andeutet) zehn Jahre, ein Jahrhundert 100 Jahre, und ein Jahrtausend 1000 Jahre. Egal, ob es sich dabei um das erste, zweite oder zweihundertste handelt. Demzufolge ging das erste Jahrzehnt der neuen Zeitrechnung vom Jahr 1 bis zum Jahr – Sie erraten es? – 10; das erste Jahrhundert demzufolge vom Jahr 1 bis zum Jahr – kommen Sie mit dem Beweis durch Induktion zurecht? – 100. Und das erste Jahrtausend schließlich vom Jahr 1 bis (Trommelwirbel) zum Jahr 1000.
Wie wir schon festgestellt haben hat nun aber ein Jahrtausend in den meisten Fällen (zumindest allen, die mir bisher untergekommen sind) 1000 Jahre. Sowohl das erste, das dritte, aber auch das zweite. Macht man demzufolge die folgende komplexe Rechnung auf:
(1000 , 0) + (1000 , 0) =
(ich sagte ja komplex … gut, man kann den imaginären Anteil auch weglassen, da durch die Addition kein imaginärer Anteil hinzukommt, und beide Werte rein reell sind) Je nach persönlicher Neigung kann man diese Gleichung nun per Zettel & Stift, Taschenrechner oder für die ganz Schlauen auch im Kopf lösen, wobei man nach mehr oder weniger vielen Zwischenschritten auf die Antwort
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kommen sollte … ach halt, da hat der Computer irgendwie die Fragen durcheinander gebracht. So. Die richtige Antwort lautet also:
2000
Jetzt wissen wir es also. Das letzte Jahr des ersten Jahrtausends war das Jahr 1000, das letzte Jahr des zweiten Jahrtausends ist also das Jahr 2000. Somit ist es nun nachgewiesenermaßen falsch, vom Jahr 2000 in einer der folgenden Formen zu sprechen:
- Beginn des dritten Jahrtausends (das wäre 2001)
- Beginn des zweiten Jahrtausends/20. Jahrhunderts (für ganz Ausgeschlafene)
- das 21. Jahrhundert (das ist von 2001-2100)
- das neue Jahrzehnt/Jahrhundert/Jahrtausend (dito, fängt in allen Fällen erst 2001 an …)
- sowie vermutlich zwei Dutzend andere verschiedene falsche Bezeichnungen – dumme Leute sind einfach zu einfallsreich
Interessant an diesen falschen Bezeichnungen ist, daß sie ganz offensichtlich ansteckend sind. War noch vor einigen Monaten ein kurzer Bericht in einer großen Tageszeitung, in dem in einer Umfrage immerhin – wenn ich mich recht erinnere – die Einschätzung, wann denn das neue Jahrhundert/Jahrtausend beginne, im Verhältnis 40% zu 60% standen (ich bin mir aber nicht mehr sicher, ob schon damals die Dummheit den Vorsprung hatte), scheint der intelligente Anteil der Nation mittlerweile wohl kapituliert zu haben – kaum jemand lehnt sich noch gegen die Behauptung auf, im Jahr 2000 beginne das neue Jahrhundert. Und so sprießen die Dummen aus allen Löchern und Rissen und verbreiten die gute Nachricht, daß wir bis zum neuen Jahrtausend nur noch kurze Zeit und nicht etwa über ein Jahr warten müssen … und daß wir doch den Jahrtausendwechsel mit möglichst viel teurem Champagner und sonstigen alkoholischen Getränken verbringen sollten (auf daß wir möglichst viel ausgeben und vom Jahreswechsel möglichst wenig mitbekommen)
Dieses Phänomen – das man unter Umständen als den "Biologischen Y2K-Bug" bezeichnen könnte – hat aber nicht nur deutsche Gehirne erfaßt. Auch in den USA (wozu ein Urlaub nicht alles gut ist) kommt man kaum an der guten Nachricht des nahenden Jahrtausendwechsels vorbei. Sei es die Tageszeitung, das Fernsehen, oder der Kalender für 2000. Wie schön ist es dann, wenn man einen StarTrek-Kalender in die Hand nimmt, der auf der Rückseite mit Worten ähnlich wie "der Kalender für das letzte Jahr des Jahrtausends" beworben wird. Das macht Hoffnung, daß wohl im 24. Jahrhundert (gemerkt? Das fängt erst am 1.1.2301 an, nicht am 1.1.2300 oder erst am 1.1.2400) diese Art der Dummheit ausgerottet sein könnte…
Abschlußbetrachtungen …
Ein wenig Off-Topic, aber die Diskussionen gehen so langsam los – wie heißen die nächsten zehn Jahre eigentlich umgangssprachlich? Begriffe von "20ern" bis hoch zu den aktuellen "90ern" sind ja jedem geläufig … aber "die Nuller" hören sich doch irgendwie blöd an. Und auch für die Zeit in 10 Jahren bedeutet ein Begriff wie "die Zehner" doch ziemlich dumm an (und "Teens" geht auch nur von 2013 bis 2019) … so gesehen bleibt nicht mehr viel Zeit, einen wirklich schlauen Begriff zu finden, damit sich die geistigen Nullen nicht in den "Nullern" verlaufen …
G.Glendown / hochgerechnet ca. 454 Tage vorm Jahrtausendwechsel, überarbeitet und de-bullshit-ified ca. 368 Tage vorm Jahrtausendwechsel
Für den geneigten Leser hier noch einige Links zu dem Thema, mit Dank an die Wenigen die beweisen, daß es nicht nur Idioten auf dieser Welt gibt:
Das neue Jahrtausend beginnt 2001,Walter Schittek (enthält eine Reihe weiterer Links!)
When is the Millenium, US-Regierung
The 21st Centuery and the 3rd Millennium – When Will They Begin?, U.S. Naval Observatory