Leicht beschr(a/ä)nkter Bahnübergang…

Wissen Sie, was eine 101 ist? Eine 101 ist eine Baureihe. Eine Lokbaureihe, genauer gesagt. Das Zugpferd der Deutschen Bahn, sie wird hauptsächlich im Intercity-Verkehr eingesetzt, also überall da, wo Geschwindigkeit und Kraft notwendig sind. Die 101 wird auch der „Schienenporsche“ genannt. Sie ist schnittig, und sie hat eine ziemlich tolle Eigenschaft für eine Lok: Sie beschleunigt ohne Last von 0 bis 100 km/h in gerade mal 18 Sekunden. Eine Wahnsinnsgeschwindigkeitssteigerung für eine Lok. Eine E-Lok, also elektrisch betrieben. Das sind die Loks, die mittels Stromabnehmer auf die Strippen oberhalb des Gleises zugreifen. Eine 101 arbeitet mit 6600 Kilowatt und kann bis zu 220 km/h schnell werden. Und sie wiegt 84 Tonnen.

Warum ich Ihnen das hier erzähle? Weil die 101 im Vergleich zu einem VW Beetle etwas, sagen wir, „überproportioniert“ wirkt. Im direkten Vergleich mit dem Beetle – Lok auf Gleis, Beetle auf der Straße – dürfte der „New Käfer“ selbst beim Beschleunigen Schwierigkeiten haben. Und was das wichtigste ist: Treffen Beetle und 101 aufeinander, kann man sich wohl unschwer ausrechnen, wer mehr Beulen im Kotflügel, beziehungsweise Lokrahmen hat. Warum zum Teufel muss dann jemand in einem Beetle trotz geschlossener Halbschranke noch über die Gleise fahren?

Die Bahn geht voll auf Geschwindigkeit. Selbst auf herkömmlichen Strecken (also nicht die so genannten Hochgeschwindigkeitstrassen, auf denen ICE und auch IC mit 101ern fahren), versucht die Bahn einen engen Zeitrahmen zu setzen. Das heißt, dass die Züge dort – bis auf die Langsamfahrstellen – in einem Tempo von ca. 100 bis 160 km/h unterwegs sind. Schranken werden aus Gründen der Modernisierung nicht mehr von Schrankenwärtern bedient, sondern zentral von Steuerstellen oder durch automatische Schließung und Öffnung. Da bleibt nicht viel Zeit, schon ca. 10 Sekunden, nachdem eine Schranke herab gesenkt wurde, rauscht ein IC mit 140 Sachen über die Straßenkreuzung. Oder ein Güterzug mit 100 km/h. Was sollte man also tunlichst tun, wenn sich eine Schranke schließt? Weiterfahren, um die Schranke herum?

Jedes Jahr verunglücken Menschen in ihren Autos, weil sie nicht vor einer geschlossenen Schranke stehen geblieben sind. Ein besonders schwerer Fall ereignete sich voriges Jahr in Sachsen-Anhalt: Eine junge Mutter mit drei Kindern in einem Kombi durchfuhr eine Halbschranke und wurde von einem ankommenden Regionalexpress erfasst. Alle Insassen tot. Die Nachricht ging durch jede Sendung, und wurde in allen Zeitungen abgedruckt. Und? Hat sich irgendwas getan? Vorige Woche noch konnte ich es an einem Bahnübergang auf der Strecke Bebra – Eisenach erleben: Halbschranke zu, ein grauer Lieferwagen fuhr trotzdem über die Gleise. Er hatte gerade die andere Seite erreicht, als eine schwere Baureihe 152 mit einem Güterzug mit ca. 90 km/h die Stelle passierte. Der Lokführer hatte schon vorher mit dem Signalhorn vorsichtig darauf aufmerksam gemacht, dass hier der Zug eventuell doch Vorfahrt hat. Dafür muss er jetzt der Lokleitstelle die Sofortschnellbremsung und das Nichteinhalten des Plans erklären.

Wissen Sie, was das Idiotischste an der Sache ist? Wenn es wieder einmal passiert ist, tauchen ganz viele Spezialisten auf, die ganz eindeutig wissen, dass die Bahn Schuld hat. Die Schranke schließt zu spät, der Zug war zu schnell, etc. Nur den Autofahrer trifft keine Schuld. Ich selbst bin Autofahrer. Und mir ist es mehr als einmal passiert, dass ich bei sich senkender Schranke von meinem Hintermann mit lautem Gehupe (und zusätzlichen freundlichen Grüßen, zu sehen an den Bewegungen seiner Finger) überholt werde, so dass dieser noch eben durchkommt. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich mir vorstelle, welchen dummen Gesichtsausdruck der Fahrer macht, wenn die 101, die 152 oder der ICE plötzlich seine Aufwartung im Innenraum des Autos macht. Aber dann stelle ich mir vor, wie sich der Lokführer beim Zusammentreffen mit diesen Dumpfbacken fühlen muss, und ich hoffe inbrünstig, dass dieser lebensmüde Besserwisser doch noch unbeschadet auf der anderen Seite ankommt.

Liebe Leute, es kann doch nicht allzu schwer sein, sich mal eine Minute Zeit zu nehmen und zu warten, bis der Zug verschwunden ist. Und selbst wenn auf dem Gegengleis noch einer durchfährt, das dauert gerade mal eine Minute mehr. Die holt man doch schnell wieder auf, oder? Aber wahrscheinlich dort, wo man es unterlassen sollte – an der nächsten Schranke.

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