Fremdenhass von der Kanzel

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Dass die Kirche – insbesondere die Katholische – oftmals ein „wenig“ überheblich und anmaßend ist, ist nicht wirklich neu. Historische Dinge wie Ablasshandel, Kreuzzüge und Inquisition, und – etwas Aktueller – Vertuschung von Missbrauchsfällen von Kindern und Jugendlichen durch „Würdenträger“ der Kirche. Und dabei sind das nur einige Punkte der katholischen Kirche. Andere Religionen mal außen vor gelassen. Vor dem Hintergrund sollte man meinen, dass man mit Äußerungen ein wenig vorsichtiger sein sollte. Aber damit wären wir wieder bei „überheblich“. Wenn man den einzig „unfehlbaren“ Menschen auf Erden auf seiner Seite und als Chef hat, passiert das schon mal…

So zumindest hat es den Anschein, wenn man sich den Bericht über die „Osterbotschaft“ des Fuldaer Bischofs Algermissen durchliest, wie zum Beispiel hier und hier berichtet. (interessanterweise hat sich die Fuldaer Zeitung bei den etwas „anstößigeren“ Teilen der Predigt mit der Berichterstattung zurückgehalten – honi soit qui mal y pense)

Schon allein die Überschrift ist eine Frechheit und ein Affront gegenüber jedem nicht-Christen – egal ob religiös oder eben nicht: „Menschen ohne den Glauben an Ostern sind ein großes Sicherheitsrisiko“. Entschuldigung, Herr Algermissen, wo sind wir denn hier? Klar, die Verbindung ist leicht hergestellt, gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Anschläge in Belgien, der Türkei, Pakistan, … (die Reihe ließe sich recht lang fortsetzen, auch wenn die westlichen Medien ja nur selten über ihren Tellerrand drüber schauen). Doch mit so einem Satz befeuert man einerseits Fremdenhass, zum anderen ist es eine Ohrfeige für friedliche Gläubige gleich welcher (nicht-christlichen) Konfessionen, aber auch humanistisch geprägten Menschen (oder nennen wir es mal beim Namen: Atheisten). Auch mit dem Hinweis, dass viele Flüchtlinge einen „festen Glauben“ hätten (implizit – klar – ist hier wieder der Islam gemeint), während in unserem Land „abnehmender Glaube“ attestiert wird. Hm … woher kommt mir das bekannt vor? Herr Algermissen, waren sie bei einer Pegida oder AfD Veranstaltung und haben sich dort ein paar „Argumente“ ausgeliehen?

Dabei sind – selbst im als extremistisch verschrienen – Islam der überwiegende Teil der Gläubigen moderat bis fortschrittlich, sind friedlich eingestellt und haben genauso viel gegen Anschläge von religiösen Idioten wie Anhänger der christlichen (oder jüdischen) Religionen – nur dass sie in der Vergangenheit weitaus mehr unter den Extremisten gelitten haben als die Menschen im Westen. Warum also stellen Sie, Herr Algermissen, jeden, der nicht Ihren Glauben teilt, als Sicherheitsrisiko dar? Was würden denn Christen sagen, wenn man aufgrund der Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte alle Sachsen als Terroristen einordnen würde? (OK, wird schon – ansatzweise – getan, schlechtes Beispiel also) Oder alle Bürger Nordrhein-Westfalens, denn dort geschehen übrigens zahlenmäßig 2014 deutlich mehr Anschläge und Übergriffe gegen Ausländer als in den fünf östlichen Bundesländern zusammen – erst 2015 kam die massiven Zunahme in Sachsen). Oder wenn man ob der Vorfälle alle Deutschen wieder als Nazis darstellt? Der Anteil extremistischer Islamisten an den Moslems ist vermutlich in etwa gleich groß (vielleicht sogar geringer). Die Entrüstung von Leuten wie Herrn Algermissen, Herrn Seehofer oder Frau Petri würde sicher nicht lange auf sich warten lassen.

Nur weil (noch) die Anzahl an Christen in Deutschland (sicherlich aber in dem recht konservativ geprägten Fulda) so hoch ist, kann man sich eine Rede wie Herrn Algermissens Osterbotschaft leisten – dennoch hoffe ich auf einen Aufschrei der Entrüstung (man darf doch noch hoffen, oder?). Doch glücklicherweise haben wir in Deutschland (noch?) keine Staatsreligion, es herrscht (auf dem Papier) Religionsfreiheit, wenn auch die Freiheit vor der Religion anscheinend immer etwas zu kurz kommt – Gleichheit vor dem Gesetz heißt zumindest hierzulande immer noch, daß Religionen Vorteile nutzen, die zumindest nicht-religiösen Menschen verwehrt bleiben. Aber das ist ein anderes Thema.

Leider beschränkt sich Herr Algermissen aber auch nicht nur auf religiöse Angstszenarien, sondern muß sich auch mit weltlichen Themen auseinandersetzen, so zum Beispiel dem Thema Gentechnik. Sicherlich kann niemand verneinen, dass es hier Gefahren von Missbrauch gibt, aber nicht zuletzt deswegen ist der Bereich der Gentechnik gerade auch in Deutschland sehr stark gesetzlich reglementiert. So weit, dass selbst Forschung, die zur Behandlung und Heilung von lebensbedrohenden Krankheiten wie Krebs genutzt wird (oder werden könnte) ausschließlich aufgrund von religiösen Gründen gehemmt oder verhindert wird (Stichwort Embryonen-Forschung – welche wissenschaftlich nachvollziehbaren – und beweisbaren – Gründe gibt es, einem Zellhaufen, der nicht einmal ein Gehirn hat, eine „Seele“ zuzusprechen?).

Doch gut, belassen wir es dabei und wenden uns der nächsten Frechheit zu:

Ohne Ostern und ohne die Auferstehung des Gekreuzigten und seinen Sieg über die Macht des Todes müssten die Menschen „im Hauch der Mächte des Todes ersticken“

Die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten sei „unsere Perspektive und Zukunft“.

Es lässt uns menschenwürdig leben und einmal sterben in der Hoffnung, dass wir teilhaben am ewigen Osterfest

So so. Herr Algermissen, Ihnen ist klar, dass das in etwa die gleiche Argumentation ist, die fanatische Islamisten als Rechtfertigung für Selbstmordattentate nutzen? Statt ihr Leben zu leben und zu feiern, statt diese Welt zu einem lebenswerten Ort für alle Menschen zu machen (was natürlich nicht leicht ist), wird die Hoffnung auf Entlohnung nach dem Tod geschürt. Eine Hoffnung, die ohne auch nur den Hauch eines Beweises (ein nahezu 2000 Jahre altes Geschichten-Buch ist kein „Beweis“, erst recht keiner, der auch nur dem Ansatz eines wissenschaftlichen Vorgehens Stand hält) präsentiert wird.

Ohne den Gekreuzigten und Auferstandenen gliche unser Dasein einer Frage ohne Antwort und einem Weg ohne Ziel.

Hm – vielleicht sollte man es einfach so sehen: Im Leben sollte der Weg das Ziel sein! Sollte das, was wir schaffen, positive Spuren im Leben anderer Menschen hinterlassen. Ein lebenswertes Leben vor dem Tod sollte jeder Mensch verdienen. Aber da sind wir ja wieder da, dass das umzusetzen nicht leicht ist. Was man leider nicht zuletzt auch an der katholischen Kirche sieht, die Reichtümer und Grundbesitz in großen Mengen anhäuft, anstatt diese weltlichen Güter den Menschen zu Gute kommen zu lassen, die sie dringend nötig hätten.

Auch bei den weiteren Punkten in dem Bericht über die Predigt kann man als humanistisch und wissenschaftlich orientierter Mensch mit eigenem Gehirn und der Fähigkeit zu denken über das Maß an Gehirnwäsche nur den Kopf schütteln. Punkte wie dass Christus die „Hoffnung auf ein ewiges Leben“ „erkämpft“ hätte (warum mußte ein allmächtiger, liebender Gott seinen irdischen Klon töten (lassen)? Wenn ich jemanden Liebe, kann ich verzeihen, auch ohne dass mein Doppelgänger leiden muss), oder dass die Bibel mit dem Bericht über das leere Grab recht haben muss, da ja der Bericht in mehreren Ostergeschichten inhaltlich gleichartig auftaucht. Schon allein hier muß sich jeder denkende Mensch an den Kopf fassen. Angefangen damit, dass wir hier nicht von Nachrichten sprechen, die gleichzeitig unabhängig voneinander entstehen und veröffentlicht werden – die Evangelien und Apostelbriefe liegen zeitlich teils weit auseinander, Parallelen als „Beweis“ anzusehen ist geradezu lächerlich. Auch vor dem Hintergrund, dass die Kirche hunderte Jahre später nur ihren zu dem Zeitpunkt  geltenden Vorgaben und Meinungen passende Schriften in das Neue Testament aufnahm, obwohl deutlich mehr (und widersprüchliche) Schriften über die Zeit Jesu existierten. Es wurden nur Schriften ausgewählt, die zueinander passen. Dies dann als Beweis für die Korrektheit zu nehmen, zeigt einmal mehr was die Kirche von Wahrheit und Belegbarkeit hält.

Noch dazu beruft sich Herr Algermissen auf „Bibelwissenschaftler“ – das Wort selbst ist schon ein Oxymoron! Abgesehen von einigen wenigen historischen Angaben lassen sich keine für den Glauben relevante Fakten der Bibel wissenschaftlich haltbar nachweisen (sonst bräuchte man keinen Glauben, denn man hätte Fakten!). Und nur weil das Grab leer gewesen sei, und man ja glauben würde hätte man es selber gesehen, ist erst recht nicht relevant: Allein schon die Tatsache, dass Jesus bei den römischen Besatzern alles andere als beliebt war, könnte dazu geführt haben, dass sein Körper aus Angst vor seinem Märtyrer-Status entfernt worden sein könnte. Unter Umständen hat der Glaube an seine Auferstehung sogar noch geholfen, Aufstände wegen der Hinrichtung zu verhinden – denn wenn man den Tod Jesu als unvermeidliche Grundlage für die Vergebung der Sünden ansieht, kann man den Römern eigentlich gar nicht böse sein, richtig?

Gut, weiter im Text … oder eigentlich nur die Wiederholung nur mit anderen Worten:

Im Osterlicht erhalte das eigene Leben Perspektive; es befreie von der Daseinshektik und der Gier nach Leben, die eine versteckte Lebensangst sei. „Der Mensch ohne Ostern lebt unter der gnadenlosen Devise: Was du bis zu deinem Tode nicht erreicht hast, das hast du verloren“

Man könnte auch sagen: Mit dieser Einstellung „befriedet“ man eine Gesellschaft, in der die viel beschworene Wohlstands-Schere mehr und mehr aufgeht. Errungenschaften wie wirtschaftlichen Wohlstand für viele, wie er sich nach der industriellen Revolution langsam durchgesetzt hatten, geht nach und nach immer mehr verloren. Während Wenige immer mehr Wohlstand anhäufen, hat es ein wachsender Anteil der Gesellschaft immer schwerer, mit ehrlicher (und meist harter) Arbeit ein angemessenes Leben zu führen. Etwas, was auch zu den Hochzeiten der Kirche (zum Beispiel im Mittelalter) der Fall war. Damals hat es die Religion geschafft, mit ihrer Friedensbotschaft und der Hoffnung auf „im nächsten Leben wird alles besser“ die herrschende Minderheit (zu der auch die Kirche schon immer gehört hat) zu schützen, und dabei noch gut an den dummen Untertanen zu verdienen (Stichwort Ablasshandel und „freiwilligen“ Spenden).

Mittlerweile hat die Kirche aber ein Problem: Mehr und mehr Menschen sind nicht mehr dumme, folgsame Schafe. Kirchenaustritte, auch und gerade nach den Missbrauchsfällen durch Priester, nehmen ständig zu. Wären Gläubige ehrlich zu sich selber, und würden Kinder nicht von Geburt an mit grausamen Behauptungen religiös „geimpft“ (Stichwort: Drohung mit ewiger Folter in der Hölle – das ist eigentlich Kindesmissbrauch!) würde die Menge der Austritte vermutlich noch deutlich größer sein. Stellt sich nur die Frage, ob Gläubigen die geistige Stellung der Kirche nicht langsam mal klar werden müsste, wenn sich jemand wie Herr Algermissen, der ja für seine „Schafe“ (hier passt der Begriff 100%ig) eine Vorbildfunktion haben sollte, hinstellt und einen Satz von sich gibt wie:

[D]er Mensch ohne Auferstehungsglauben [wird] zu einem „großen Sicherheitsrisiko“ für die Mitwelt werde, denn seine Hektik und Daseinsangst ließen ihn „zuschlagen und zerstören“. Er gehe buchstäblich über Leichen, ehe er selbst zur Leiche werde. Dies erlebe man gerade in diesen Wochen und Monaten.

Lieber Herr Algermissen, ich weiß ja nicht, wieviele Menschen Sie schon umgebracht hätten, würden Sie nicht an Gott und die Auferstehung glauben. Ich weiß auch nicht, ob ich die Antwort darauf wissen wollte. Ich jedenfalls glaube nicht mehr daran, und wissen Sie was: Ich habe deswegen genau soviele Menschen getötet, geschlagen und vergewaltigt wie ich wollte! Und wissen Sie, wieviele Menschen das sind?

Diese Zahl Menschen ist „0“. Weil meine Moral – und die Moral fast aller, die Ihren Glauben nicht teilen (und auch derer, die es tun) – sich zum Glück unabhängig von Vorgaben der „Moralinstanz“ Kirche entwickelt hat. Und diese Moral hinkt nicht 2000 Jahre und Millionen von wissenschaftlichen Entdeckungen hinterher, sondern ist auf dem aktuellen Stand einer denkenden, (mit)fühlenden, liebenden und lernenden Gesellschaft und Menschheit.

2 Gedanken zu “Fremdenhass von der Kanzel

  1. Muriel 28.03.2016 / 14:03

    Man muss fairerweise natürlich beachten, dass der Papst nicht an und für sich als unfehlbar gilt, sondern nur seine Äußerungen ex cathedra diesen Status beanspruchen, und wenn ich das richtig überblicke, gab es davon bisher nur sehr wenige.

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  2. garrykg 08.04.2016 / 18:55

    Update:
    Nach fast zwei Wochen haben die „OsthessenNews“ heute endlich einen Folgebericht zu dem Text vom Ostermontag veröffentlicht. Es wurde Feedback von verschiedlichen kirchlichen Stellen (sowohl christlich als auch jüdischen), sowie aus humanistischen Kreisen aufgeführt. Ebenfalls wurde eine Stellungnahme Algermissen’s Pressesprechers aufgeführt, die für mich fast wie eine Ohrfeige auf der anderen Backe erscheint. Denn, so der Sprecher, „der Bischof habe mit seiner pointierten Predigt gewiss niemanden diffamieren wollen“. Tut mir leid, Herr Algermissen, aber „diffamieren“ ist zum einen noch zu schwach, zum anderen sollte ein so hoch in der kirchlichen Hirarchie stehender Mensch ein wenig mehr über seine Worte nachdenken. Aber vielleicht haben Sie ja auch sehr genau darüber nachgedacht, und Sie haben halt einfach nur Ihre tolle Meinung über „Ungläubige“ mal deutlich ausgesprochen …

    Der Artikel der Osthessen News: http://osthessen-news.de/n11527998/ungl%C3%A4ubige-ein-sicherheitsrisiko-kritiker-predigttext-diffamiert-und-grenzt-aus.html

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